Andrea Eidenhammer begleitet das AVbaby Team schon seit Januar 2019 mit ihrer enormen Schaffenskraft und ihren kreativen Ideen. Wir denken, es ist Zeit, dass wir sie euch einmal vorstellen! Lena hat sie gefragt, was sie bewegt, sie beeinflusst und was zu so einer großartigen Künstlerin macht:
Lena: Liebe Andrea, vielen Dank, dass du dir heute Zeit genommen hast, um ein bisschen mehr über dich, dein Leben und deine Arbeit als Filmschaffende zu erzählen. Starten wir gleich mit der ersten Frage: Wo kommst du und was hat dich in deiner Kindheit, aus heutiger Sicht, besonders geprägt? Andrea: Vielen Dank für die schöne Idee! Meine frühe Kindheit habe ich in Rauris verbracht. Ich denke, dieser Ort und seine Menschen haben mich schon sehr stark in meinem Wesen beeinflusst: Rauris ist eines der schönsten Tauerntäler; touristisch sehr erschlossen und trotzdem authentisch geblieben. Die Leute sind sehr eigenwillig, aber auch unternehmerisch und aufgeschlossen für abenteuerliche Ideen abseits des Mainstreams. Den „Abenteuerspirit mit guter Bodenhaftung“ spüre ich auch in mir selbst.
Lena: Wann/wie/warum hast du dich dazu entschieden Filmemacherin zu werden? Oder besser gesagt: wie bist du zum Filme machen gekommen? Andrea: Mein erstes Erlebnis hinter der Kamera hat mich am meisten beeindruckt. Als ich fünf Jahre alt war, drückte mir mein Vater bei einem Dorffest an Christi Himmelfahrt seine Pentax in die Hand und meinte, ich soll mir sehr genau überlegen, wann ich abdrücke - der Film hatte ja nur 24 Dias. Für mich war es ein magischer Moment, durch das kleine Kasterl zu schauen. Ich fühlte aber auch die Verantwortung, eine Geschichte zu erzählen. Später und weil ich viel Theater gespielt habe, wollte ich Schauspielerin werden. Mit sechzehn Jahren bin ich sogar einmal ins Max Reinhardt Seminar nach Wien abgehauen und die hätten mich sogar aufgenommen...(lacht)
Mit 18 begann ich in Graz Spanisch und ein Medienfächerbündel (Kunst und Medien) zu studieren. Nebenbei hab ich im Cafe Bica gejobt und durch meine Arbeitskollegin Gudrun Hildebrand kam ich dann auf die Fotoakademie Graz. Dort aufgenommen, erlernte das Handwerk der Fotografie. Auch bei Christian Jungwirth konnte ich ein paar Mal schnuppern.
Irgendwann wurde es mir in Graz aber zu eng. Ich wollte weg und entschied mich für ein Erasmus-Semester in Spanien. Ich reiste viel, lernte Menschen von überall-her kennen und traf meinen zukünftigen Mann Ricardo. Zurück in Österreich wusste ich, dass ich komplett neu anfangen wollte, als Fotografin und mit Ricardo in Spanien. Ich arbeitete letztendlich für Pep Escoda in Tarragona als seine Assistentin. Wir verwirklichten Produktionen für Bildbände des Taschen Verlages und Arbeiten für Zeitschriften wie Homes & Houses und die New York Times. Mit der Wirtschaftskrise 2008 war das Ende unserer Zusammenarbeit gekommen und diesen Anlass nützte ich dafür mich selbständig zu machen. Wir blieben in Tarragona, ich startete bei Null. Ich habe Werbefotografie, Fotobücher, -ausstellungen und Videoinstallationen gemacht – meine letzte auf 1.000m2 Ausstellungsfläche im Espai d'Art del Port de Tarragona. Mein Mann Ricardo ist Soziologe. Er studierte Drehbuch an der Filmschule Bande à Part de Barcelona und ich schrieb mich dort für einen Masterkurs für Regie ein. Gemeinsam haben wir dann unseren
ersten Dokumentarfilm, Im Haus der Seidenpuppen (übersetzt: Al quebrar la crisálida), gedreht und gleich die ersten Preise gewonnen. Das war der Auftakt für viele weitere Produktionen.
Trailer: Im Haus der Seidenpuppen:
Lena: Auf was bist du besonders stolz bei deiner Arbeit? Andrea: Ich bin sehr stolz darauf, dass ich mit meinen Drehs die Geschichten der Schwächsten und Ärmsten auf dieser Welt erzählen kann. Es ist mir wichtig, ihnen Gehör zu verschaffen und sie damit unterstütze, ihre Probleme damit ein Stück weit sichtbarer zu machen. Ich will Ihr Leben begreiflich machen und sie nicht als Opfer darstellen. Das sind für mich sehr zentrale Elemente. Und mir geht es um Perspektiven: die der Kamera, des eigentlichen Erzählers aber auch um die Zukunftsperspektiven der Darsteller/innen selbst. Ich würde es spannend finden, einmal ein Symposium zum Thema „Ethik“ bei sozial komplexen Dokumentarfilmen für Menschen aus der Filmbranche, aber auch für JournalistInnen zu organisieren, ich denke, dass gäbe es genug Material, um uns auszutauschen.
Lena: Was ist das größte Hindernis beim Filme machen?
Andrea: Film ist Fiktion. Das größte Abenteuer beginnt ja bekanntermaßen im Kopf. Es gilt, viele Menschen von dieser Idee zu überzeugen, bis gedreht wird. Manchmal ist man selbst sein größtes Hindernis, wenn man nicht an die Verwirklichung glaubt...
Lena: Was ist dein nächstes Projekt? Worum geht es und wer macht mit? Andrea: Ricardo und ich haben gerade das Drehbuch zum Spielfilm "The Beauty of Survival" fertig, das auch vom Filminstitut gefördert wurde. Nun geht es in die nächste spannende Phase der Projektentwicklung. Es wird eine internationale Co-Produktion. Wir arbeiten nun auch an einem Fiction Kurzfilm Drehbuch, den wir gemeinsam AVbaby Mediastudios produzieren werden.
Lena: Was ist dir bei der Zusammenarbeit am Set am wichtigsten? Andrea: Es gibt herausragende Profis in jedem Bereich, wenn das Budget zulässt, jede Position mit diesen Profis auszufüllen, ist das Ergebnis ein Traum.
Lena: Welche Tätigkeiten machst du am liebsten und wie gehst du es an? Andrea: Geschichten erzählen und mit einem Team gemeinsam umsetzen, darum mache ich am liebsten die Regie. Oft ist die Idee in meinem Kopf bereits so ausgeformt, dass es für mich schwer vorstellbar ist, die Geschichten von einer anderen Person umsetzen zu lassen.
Lena: Wenn du dich an deine letzten Drehs zurückerinnerst, welcher war dein schlimmster Dreh und warum? Andrea: Ich hatte einen Dreh in Bolivien, in El Alto, in der Nähe von La Paz, der war meine schlimmste und gleichzeitig auch eine meiner schönsten Erfahrungen: Ich filmte in einem Krankenhaus für meinen Film „Der Klang der kleinen Schritte“ in der Geburtenstation. Es war ein sehr extremer Ort: Die Frauen, meist sehr junge Indigenas, haben dort ihre Kinder buchstäblich am Gang und ohne Betreuung bekommen. Es gab kein chirurgisches Material, es war dunkel, stickig und ich hörte die Frauen andauernd weinen und wimmern. Einer der Ärzte fragte mich, ob ich eine Geburt filmen wolle. Ich willigte ein und begleitete ihn in den Kreissaal, wo eine etwa 20 Jahre alte Indigena bereits mitten im Geburtsvorgang war. Ich fühlte mich wie ein Eindringling. Während ich filmte, rannen mir die Tränen herunter. Als der Dreh vorbei war, setzte ich mich vor das Krankenhaus. Meine Arme zitterten. Das Adrenalin schoss durch meinen Körper und ich begann zu weinen, weil ich bei so einem schönen und wichtigen Moment im Leben dieser Frau dabei sein konnte.
Film: Der Klang der kleinen Schritte:https://vimeo.com/141671331 Passwort: Elsonido
Lena: Da bekomme auch ich gleich Gänsehaut bei deiner Erzählung! Aber jetzt würde mich noch interessieren, welcher dein bester Dreh war und warum? Andrea: Ich denke mein bester Dreh bis jetzt, fand auf einer REPSOL Ölbohrplattform im Mittelmeer für die Tanzfilmreihe „Crossing Limits“ statt. Wir organisierten einen Spezialflug mit dem Privathubschrauber und umkreisten damit die Plattform. Mein Kameramann hängte sich aus dem Hubschrauber, um die besten Aufnahmen zu bekommen und alles schien perfekt zu sein. Bis wir über Funk hörten, dass unsere chinesisch-catalanische Tänzerin nicht mehr tanzen konnte. Als wir auf der Plattform landeten, sahen wir überall Blutspuren. Sie hat sich ihre Fußsohlen komplett aufgeschnitten, und das bereits am ersten von fünf Drehtagen. Nichts desto trotz, hat sie sich dazu entschieden, weiter zu machen – natürlich mit verbundenen Füßen. Die Aufnahmen wurden grandios! Letztendlich hat bei dem Dreh einfach alles gestimmt: Die Location war super, unser Kunde hat uns bei der Verwirklichung unterstützt, das ganze Team hat perfekt zusammengepasst und alle Schwierigkeiten konnten letztendlich gemeinsam überwunden werden. Das macht mich heute noch sehr stolz.
Showreel
Lena: Was ist dein persönlicher Lieblingsfilm?
Andrea: Die folgenden Produktionen finde ich großartig:
Parasite von Bong Joon-ho (2019)
Frida von Julie Taymor (2002) -> Die Frau ist faszinierend und die eingenommenen Blickwinkel erzählen unglaublich kraftvolle Geschichten.
Titus von Julie Taymor (1999) -> Julie hat mich inspiriert zum Film zu gehen.
Amores Perros von Alejandro G. Iñárritu (2000) -> Geniales Drehbuch und top Schauspieler. Alejandro erfindet sich immer wieder neu, das finde ich sehr wichtig.
La Casa de Papel (Haus des Geldes) von Álex Pina (2017 -) –> ein herausragendes Drehbuch und eine Serie mit Haltung.
Human von Yann Arthus-Bertrand (2015) -> Die Art, wie dieser Film gemacht wurde, beeinflusst mein Denken seit ich den Film zum ersten Mal sah.
Lena: Was hältst du von „Video on Demand“ – also Amazon Prime, Netflix, etc.? Andrea: Ich bin der Meinung, dass diese neuen und legalen Möglichkeiten, Filme zu schauen das Sehverhalten revolutioniert hat. Vor allem wurde es dabei demokratisiert und man ist nicht mehr auf die klassischen Kanäle wie Kino und Fernsehen angewiesen.
Lena: Kommen wir nun zur letzten Frage: Was wünschst du dir für deine Zukunft beim Film? Andrea: Ich möchte nächstes Jahr meinen ersten Spielfilm „The Beauty of Survival“ drehen, zum 40er ;)!
Lena: Vielen, vielen Dank für die Einblicke in deinen Erfahrungsschatz und dein aufregendes Leben als Filmemacherin! Ich wünsche dir alles Gute und viel Erfolg für die Verwirklichung deiner neuen Projekte und hoffe, dass die Filmwelt bald noch viel mehr von dir sehen und hören wird.
Rauris Touristeninformation: https://www.raurisertal.at Max Reinhardt Seminar, Wien: https://www.maxreinhardtseminar.at
Fotoakademie, Graz: http://www.fotoakademie.com
Fotograf Pep Escoda, Tarragona: https://www.facebook.com/EspaiPepEscoda/
Taschen Verlag: www.taschen.com Filmhochschule, Barcelona: http://www.bandeapart.org/es_ES/ Trailer „Im Haus der Seidenpuppen“: https://vimeo.com/user3182006
Der Klang der kleinen Schritte: https://vimeo.com/141671331 Passwort: Elsonido
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